Universitas 11/2014
Aufbruch in den Bergen:
Eine Reise ins Innere von Nepal
von Martin Kämpchen
Die von Bürgerkrieg, Korruption und einer
zerstrittenen Parteienpolitik gebeutelte Nation kann als Folge der allgemeinen
Wahlen im November 2013 endlich einen Weg zu einer Verfassung und
einer konstruktiven wirtschaftlichen Entwicklung und kulturellen Profilierung
finden.
Die Maoisten hatten zunächst als Untergrundbewegung für soziale Gerechtigkeit
im Land gekämpft und dabei Gewalt keineswegs gemieden. Die ein
Jahrzehnt währende maoistische Revolution hatte zwar zur Abschaffung der
Monarchie geführt, doch als sich die Maoisten in ein demokratisches Staatsgefüge
integrieren wollten, sich zur Partei umwandelten und 2008 die Wahlen
mit großer Mehrheit gewannen, versagten sie kläglich. Die maoistische Regierung
konnte nicht die erhoffte Wende zur sozialen Gerechtigkeit für die verarmte
Bevölkerung herbeiführen. Die revolutionären Anführer entpuppten
sich als ebenso korrupt und machtgierig wie die Politiker, die sie angegriffen
hatten. Die Regierung schaffte es auch nach mehreren Anläufen nicht, dem
Land eine Verfassung zu geben.
In den allgemeinen Wahlen im November 2013 sind die Maoisten (UCPN-M =
Unified Congress Party of Nepal-Maoist) nur als die drittstärkste Partei hervorgegangen.
Die beiden mächtigsten Parteien, der Nepali Congress und die
Communist Party of Nepal-Unified Marxist-Leninist (CPN-UML), haben sich
zu einer Koalition zusammengeschlossen und den bewährten alten Politiker
Sushil Koirala, eine Integrationsfigur, zum Premierminister bestellt. Die Maoisten
hätten der Koalition beitreten können, doch sie zogen es vor, in die Opposition
zu ziehen, und spielen dort nun eine mehr oder weniger konstruktive
Rolle. Die neue Koalition verspricht eine Verfassung (Constitution) bis zum 22.
Januar 2015. Beobachter halten dieses Ziel für realistisch. Die Rahmenbedingungen
zur Niederschrift der Verfassung (Constituent Assembly Rules) wurden
festgelegt, sodass endlich die Verfassung entstehen kann. In der maoistischen
Partei rumort es, besonders im Kreis um deren legendären Anführer
Pushpa Kamal Dahal, der allerdings seine Parteimitglieder zu einer konstruktiven
Mitarbeit an der Verfassungsgebung aufgefordert hat. Es muss sich zeigen,
ob die Maoisten zur Wandlung von Protestbewegung zu Regierungsarbeit,
die sie lang hinausgezögert haben, endlich fähig werden.
Der weltweit respektierte nepalesische Journalist Kanak Mani Dixit, Herausgeber
von „Himal Southasian“, spricht von einer „zweiten Chance“ für Nepal.
Die arme Bevölkerung brauche eine klare wirtschaftliche Führung, die vor
allem die Infrastruktur in den abgelegenen Gebieten des Landes aufbaut, damit
Kleinindustrien und landwirtschaftliche Projekte entstehen können. Infrastruktur
ist das neue wirtschaftliche Motto der Regierung. Wie stark das Land
auf diesem Gebiet leidet, macht zum Beispiel die Stromzufuhr deutlich, die in
Kathmandu im Augenblick durchschnittlich sieben Stunden täglich ausfällt. In
den Bergregionen ist die Infrastruktur unterschiedlich dicht und im Wesentlichen
abhängig von der Verfügbarkeit von Wasser und Transportwegen.
Ebenso habe Nepal ein neues sozio-kulturelles Bewusstsein nötig, fordert Dixit,
das der multi-ethnischen Bevölkerung ein nationales Identitätsgefühl gibt.
Im Augenblick überwiege in Nepal der „Kult des Nehmens“, gefördert durch
die zahlreichen internationalen Organisationen, die in Nepals Bergregionen
tätig sind. Jetzt müsse ein eigener Wille zur Entwicklung hinzukommen, da59
Schwerpunkt „Südasien“ – Essay – Martin Kämpchen
mit diese Hilfe nicht lähmt, sondern tatsächlich zu Eigenleistungen und zur
Kreativität anregt.
Die von der maoistischen Regierung geduldete Korruption muss enden, was
nach den Wahlen möglich wird, weil die korrupten maoistischen Anführer entmachtet
sind. Ebenso wichtig ist, dass die tausendfachen Morde, die die maoistische
Untergrundbewegung verschuldet hat, gesühnt und aufgearbeitet
werden. Die Forderung nach einem „Wahrheits- und Versöhnungskommittee“
(Truth and Reconciliation Committee), wie es Südafrika nach der Abschaffung
der Apartheid einsetzte, wird immer lauter. Die entmachteten Maoisten versuchen,
ihre kriminellen Taten so weit wie möglich zu verschleiern oder zu
bagatellisieren, und schützen ihre Parteigänger. Doch es ist offensichtlich,
dass nur eine ernsthafte Wahrheitsfindung die Opfer und ihre Familien mit
der Vergangenheit aussöhnen kann und eine konstruktive Politik, die alle Bevölkerungsteile
einbindet, möglich macht.
nach den Wahlen möglich wird, weil die korrupten maoistischen Anführer entmachtet
sind. Ebenso wichtig ist, dass die tausendfachen Morde, die die maoistische
Untergrundbewegung verschuldet hat, gesühnt und aufgearbeitet
werden. Die Forderung nach einem „Wahrheits- und Versöhnungskommittee“
(Truth and Reconciliation Committee), wie es Südafrika nach der Abschaffung
der Apartheid einsetzte, wird immer lauter. Die entmachteten Maoisten versuchen,
ihre kriminellen Taten so weit wie möglich zu verschleiern oder zu
bagatellisieren, und schützen ihre Parteigänger. Doch es ist offensichtlich,
dass nur eine ernsthafte Wahrheitsfindung die Opfer und ihre Familien mit
der Vergangenheit aussöhnen kann und eine konstruktive Politik, die alle Bevölkerungsteile
einbindet, möglich macht.
Im August besuchte der neue indische Premierminister Narendra Modi Nepal.
Es war sein erster Auslandsbesuch bald nach Amtsantritt. Dieser Besuch wertete
Nepal zum ersten Mal in der Region auf und nutzt dem Selbstbewusstsein
des kleinen Landes, das unter seinen innenpolitischen Misserfolgen und dem
resultierenden Achtungsverlust leidet.
Kanak Mani Dixit besteht darauf, Nepal nicht isoliert zu betrachten, sondern
als Teil der Region Südasien, die historisch und kulturell eine Einheit bildet
und den Riesen Indien in einem partnerschaftlichen Zusammenhang mit dessen
kleineren Nachbarn sieht. Diese Region beginne, sich als Gegengewicht
zu China wirtschaftlich und sozio-kulturell zu profilieren.
Die Situation der Jugend Nepals ist bis heute wenig hoffnungsvoll. Zwar entstehen
immer mehr Schulen in den abgelegenen Dörfern, doch wer Bildung
besitzt, möchte nicht länger das harte Leben in den Bergen führen, wo die
Berufsoptionen auf Landwirtschaft und Handwerk begrenzt bleiben. Die Jugend
zieht nach Kathmandu, dem einzigen großstädtischen Zentrum Nepals.
Dies hilft weder der Entwicklung der Dörfer, die um ihr eigenes Entwicklungspotenzial
beraubt werden, noch dem aus allen Nähten platzenden Kathmandu.
Vor zwanzig Jahren besaß Kathmandu noch ein beschauliches, kleinstädtisches
Milieu. Heute plagt es immense infrastrukturelle Probleme. Neben
dem genannten Stromdefizit sind die Transport- und Kommunikationswege
der Bevölkerung heillos überlastet. Busse und Minibusse sind während des
Tages überfüllt, Taxis für die allgemeine Bevölkerung zu teuer.
Viele nutzen Kathmandu darum als Sprungbrett zu den Golfstaaten oder nach
Malaysia, wo sie als ungelernte Arbeiter oder im Hotelgewerbe unterkommen.
Die Auslandsjobs bringen viel Geld, das zurück nach Nepal fließt, um die
zurückgelassenen Familien der Arbeiter zu unterstützen. Die Überweisungen
aus dem Ausland summieren sich zu 25 Prozent von Nepals Bruttoinlandsprodukt
(BIP). Allerdings reißt die Notwendigkeit, im Ausland zu arbeiten, Zigtausende
von Familien auseinander. Die Ehemänner besuchen ihre Familien
nur einmal im Jahr oder alle zwei Jahre. Die Frauen müssen die Kinder allein
aufziehen, die auf den Beistand der Väter jahrelang verzichten.
Außerdem werden den Auslandsarbeitern oft entwürdigende Arbeits- und Lebensbedingungen
aufgenötigt. Immer wieder liest man von der Ausbeutung
der nepalesischen und indischen Kontraktarbeiter. Erst vor einigen Monaten
verbreiteten die Medien Berichte über die Arbeitsbedingungen in Katar, wo
indische und nepalesische Arbeiter wie Sklaven gehalten wurden. Doch die
Regierung in Nepal und die Arbeitnehmer beklagen sich selten über diese Zustände,
weil man sich diese Arbeitschancen, zu denen es kaum Alternativen
gibt, nicht verbauen will. Die Zeitschrift „Nepali Times“ protestiert gegen diese
Haltung und gibt zu bedenken: man vergesse, „dass die Golfstaaten die
billigen Arbeitskräfte ebenso brauchten wie wir das Geld, das sie nach Hause
schicken“ (18.–24. Juli 2014).
Wer in Kathmandu bleibt, ist meist in der Tourismus-Industrie beschäftigt.
Eine Familie zieht die anderen aus ihren Dörfern nach. Alle sind als Träger,
Köche oder Bergführer auf den Trekking-Reisen der Ausländer oder im Hotelgewerbe
in der Hauptstadt angestellt. Viele haben es zu bescheidenem
Wohlstand gebracht. Doch die Saison dauert nur vier Monate, die restliche
Zeit sitzen sie meist untätig zu Hause, weil die Großstadt sonst wenige bezahlte
Beschäftigungen anbietet. In der Innenstadt hat sich an jeder Straßenecke
eine Trekking-Agentur eingenistet. Inzwischen macht sich das Überangebot
bemerkbar, denn viele Zugewanderte warten auch in der Saison vergeblich
auf Angebote. Sie bilden Organisationen, um sich in Notfällen gegenseitig zu
helfen und um die Verbindung zu ihren Dörfern nicht zu verlieren. Obwohl sie
den relativen Komfort der Großstadt nutzen und ohne triftigen Grund nicht in
ihre Dörfer zurücksiedeln würden, fühlen sie sich nicht als Großstädter und
bleiben unter sich. Ihre Kinder wachsen am Rand der Großstadt auf und kennen
die Heimatdörfer der älteren Generationen nur von kurzen Besuchen.
Jetzt erwartet die stagnierende städtische Gesellschaft, die vom Bergtourismus
lebt, von der neuen Regierung Impulse für breiter gestreute berufliche
Optionen in den Städten. Der Kultursektor ist vor allem ausbaufähig. Infolge
der hohen Anzahl von ausländischen Touristen ist das kulturelle Angebot in
Kathmandu anspruchsvoller als in vergleichbaren südasiatischen Ländern. Es
gibt Filmfestivals, Musik- und Tanzveranstaltungen; Restaurants bieten kulinarische
Besonderheiten an. Eine der bestsortierten Buchhandlungen Süd-
asiens, das Pilgrims Book House, liegt im Stadtteil Thamel von Kathmandu.
Es wurde allerdings zum Erschrecken Tausender letzten Mai in einem Feuer
zerstört und wartet auf den Wiederaufbau.
Doch profitieren neben den ausländischen Touristen auch einheimische junge
Menschen von dem kulturellen Angebot? Wie können sie ihren Blick auf Länder
jenseits der wirtschaftlich ergiebigen Golfstaaten ausweiten? Das Goethe-
Institut hatte im Jahr 1997 seine Zweigstelle in Kathmandu aufgrund der maoistischen
Bedrohung und seines Engagements in Osteuropa geschlossen.
Nachdem Ruhe ins Land eingekehrt ist und ein kultureller Weitblick angesetzt
werden darf, muss man über die Wiedereröffnung nachdenken, um Deutschland
nicht nur als Kunden des Bergtourismus zu präsentieren.
Die durch den Tourismus westlich ausgerichtete Gesellschaft von Kathmandu
kann das vielfältige Angebot der Lebensmöglichkeiten, die von ausländischen
Besuchern vorgelebt werden, noch nicht wahrnehmen. Sie ist zu arm und
ihr fehlt die Welterfahrung. Wer in Kathmandu genau hinblickt, erkennt eine
Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die Einheimischen hier, die Besucher dort. Gewisse
Restaurants, Hotels, Kommunikations- und Transportmittel, sogar Kulturdenkmäler
und religiöse Bauten wenden sich fast ausschließlich an Ausländer.
Nur einige alte und bekannte buddhistische und Hindu-Tempel werden
von beiden Gruppen frequentiert.
In den letzten zwölf Monaten bin ich dreimal in Nepal unterwegs gewesen.
Im Oktober 2013 wanderte ich mit einem deutschen Ehepaar in der Manaslu-
Region und von dort durch das Tsum-Tal. Es war eine konventionelle Trekkingreise
mit Bergführern, Trägern und mobiler Küche.1 Im Februar/März dieses
Jahres besuchte ich Kathmandu und wohnte in einem nördlichen Vorort
in der Familie des Bergführers Madan Thapa Magar. Er nahm mich im Mai zu
einem längeren Besuch in sein Heimatdorf Merangdi im südlichen Teil des
Distrikts Solukhumbu mit. Hoch im Norden dieses Distrikts, der an Tibet
grenzt, liegt der Mount Everest. Der Flughafen Lukla am Fuß des Everest bedient
den Bergtourismus. Eine Fahrstraße vom Süden bis in den Norden des
Distrikts besteht noch nicht; nur Fußwege gibt es. Solukhumbu bleibt also infrastrukturell
unerschlossen.
In den letzten zwölf Monaten bin ich dreimal in Nepal unterwegs gewesen.
Im Oktober 2013 wanderte ich mit einem deutschen Ehepaar in der Manaslu-
Region und von dort durch das Tsum-Tal. Es war eine konventionelle Trekkingreise
mit Bergführern, Trägern und mobiler Küche.1 Im Februar/März dieses
Jahres besuchte ich Kathmandu und wohnte in einem nördlichen Vorort
in der Familie des Bergführers Madan Thapa Magar. Er nahm mich im Mai zu
einem längeren Besuch in sein Heimatdorf Merangdi im südlichen Teil des
Distrikts Solukhumbu mit. Hoch im Norden dieses Distrikts, der an Tibet
grenzt, liegt der Mount Everest. Der Flughafen Lukla am Fuß des Everest bedient
den Bergtourismus. Eine Fahrstraße vom Süden bis in den Norden des
Distrikts besteht noch nicht; nur Fußwege gibt es. Solukhumbu bleibt also infrastrukturell
unerschlossen.
Folgen wir Madan; sein Lebensbeispiel mag als symptomatisch für das gegenwärtige
Nepal gelten, das ich zunächst allgemein charakterisiert habe.
Die Reise in Madans Dorf begann in Kathmandu sehr früh am Morgen in
einem Jeep, der als Sammeltaxi fungierte. Obwohl die Strecke nur rund 300
Kilometer bis zur Endstation Sallery misst, braucht der Jeep zwölf Stunden,
meist aber einige Stunden mehr. Nach den ersten fünfzig Kilometern werden
die Straßen zu Staubpisten und so holprig, dass der Jeep oft im Schritttempo
fahren muss. Auf der gesamten Strecke herrschte rege Bautätigkeit. Die Straße
wird erweitert, ausgebaut und gegen Erdrutsche gesichert. Man sieht gesprengte
Felsen, hohe Mauern, überall Bagger und Lastwagen, die Erde und
Bauschutt abtransportieren. Wer behauptet, Nepal stagniere, soll diese Stre-
cke entlangfahren. Mehrmals mussten alle Fahrzeuge eine halbe Stunde oder
länger warten, weil ein Lastwagen, der beladen wurde, die Straße blockierte.
Rund zwanzig Kilometer vor Sallery stiegen wir aus und kletterten zu Fuß steil hinab zu einem Bach, über den eine Holzbrücke führt. Durch Nadel- und
Mischwälder ging der Weg aufwärts, auf dem ich meine Trekkingstöcke einsetzen
musste. Nach zwei bis drei Stunden erreichten wir Merangdi, das in
2350 Metern Höhe am Hang liegt.
Die soliden zweistöckigen Steinhäuser sind weit zerstreut und haben jeweils
einen Hof vor dem Eingang und terrassenförmige Felder in ihrer Umgebung.
Ein Balkon führt entlang der zwei Seiten, die talwärts weisen. Zu ebener Erde
sind die zwei oder drei Wohnräume, im oberen Stock unter dem Giebeldach
aus Schiefer liegt die Küche.
Im Haus von Madans Familie wohnen die Eltern, die jüngere Schwester Kumari
und der Großvater. Als wir eintrafen, pflügte der Vater gerade ein Feld
oberhalb des Hauses, um Kartoffeln zu pflanzen. Die Schwester, die noch zur
Schule geht, war uns entgegengekommen, um Madans schweren Rucksack
abzunehmen. Sie arbeitet im Haushalt mit. Nicht nur beim Kochen und Putzen
Mischwälder ging der Weg aufwärts, auf dem ich meine Trekkingstöcke einsetzen
musste. Nach zwei bis drei Stunden erreichten wir Merangdi, das in
2350 Metern Höhe am Hang liegt.
Die soliden zweistöckigen Steinhäuser sind weit zerstreut und haben jeweils
einen Hof vor dem Eingang und terrassenförmige Felder in ihrer Umgebung.
Ein Balkon führt entlang der zwei Seiten, die talwärts weisen. Zu ebener Erde
sind die zwei oder drei Wohnräume, im oberen Stock unter dem Giebeldach
aus Schiefer liegt die Küche.
Im Haus von Madans Familie wohnen die Eltern, die jüngere Schwester Kumari
und der Großvater. Als wir eintrafen, pflügte der Vater gerade ein Feld
oberhalb des Hauses, um Kartoffeln zu pflanzen. Die Schwester, die noch zur
Schule geht, war uns entgegengekommen, um Madans schweren Rucksack
abzunehmen. Sie arbeitet im Haushalt mit. Nicht nur beim Kochen und Putzen
hilft sie, sondern sie verrichtet auch schwere Arbeit, trägt etwa die gefüllten
Kannen von der Wasserstelle fünfzig Meter vom Haus entfernt hinauf zur Küche,
schleppt das Holz, das der Vater gespalten hat, in einer Kiepe zur Feuerstelle.
Einmal in der Woche geht sie zu Fuß nach Pattale Bazar, um Proviant
nach Hause zu bringen. Da Madans ältere Brüder nicht mehr im Elternhaus
wohnen, muss Kumari eine männliche Arbeitskraft ersetzen, und sie scheint
es willig zu tun. In der Schule muss sie die Prüfungen der achten Klasse nachholen,
bevor sie aufsteigen kann. Kumari will die Schule aufgeben; offensichtlich
widersprechen die Eltern ihr nicht entschieden genug. Nur Madan, der in
seiner Familie die beste Schulbildung besitzt und darum für sie eine Autoritätsperson
darstellt, versuchte Kumari zu überreden, weiterzulernen. Madan
hat den Nutzen erkannt. Was sie denn tun wolle, fragte er die Schwester.
Einen Beauty Parlour aufmachen, sagte sie.
Einen Beauty Parlour? – Wir waren erstaunt. Wie kam sie auf die Idee? Sozialarbeiter von der Regierung hatten das Dorf besucht, sie boten verschiedene
Ausbildungsprogramme an, darunter auch Schönheitspflege. Die unerfahrene
Kumari bedachte nicht, dass sie diese Ausbildung nur in der Stadt bekommen
und den Beruf ebenso nur in der Stadt ausüben kann. Hohe Investitionen und
ein Wechsel von Merangdi nach Kathmandu wären notwendig.
Madans zwei ältere Brüder, Man Bahadur und Kedar, sind verheiratet und
wohnen mit ihren Familien in der Nähe. Beide haben es in der Schule nicht
weit gebracht und verrichten ungelernte Arbeit. Kedar ist Holzfäller in den
umliegenden Wäldern. Man Bahadur, der älteste Sohn, betreibt eine Wirtschaft
im nächsten Ort, Ghunsa. Vor der Heirat hatte er sein Glück mit Arbeitsaufenthalten
im Irak und in Dubai versucht; insgesamt verbrachte er sechseinhalb
Jahre im Ausland.
Die Atmosphäre im Haushalt ist ruhig und gemächlich. Die Abwesenheit von
Fernsehen und Radio ist mir angenehm, die Familie wäre wahrscheinlich für Abwechslung dankbar. Die Integration des Großvaters in die Familie scheint
harmonisch. Er sitzt und döst in der Sonne, er genießt die Mahlzeiten; als wir
von Kedar zum Abendessen eingeladen wurden, war er selbstverständlich
dabei. Er wird zu keinerlei Arbeit angehalten, beteiligt sich aber mit kleinen
Verrichtungen. Kühe, Hühner, Ziegen und Hunde gehören dazu. Die Küche im
oberen Stockwerk ist der Mittelpunkt des Familienlebens. Von morgens bis
spätabends brennt Holz im offenen Herdfeuer. Vater oder Mutter kochen die
Mahlzeiten, machen Wasser heiß oder bereiten Tee zu. Der Rauch zieht nur
langsam durch die Ritzen im Dach ab. Die Küche ist darum oft rauchig. Alle
Küchen, die ich betrat, waren ohne Fenster, also dunkel und, obwohl geräumig,
recht unwohnlich. In der Küche isst die Familie. Wenn Verwandte kommen,
übernachten einige Familienmitglieder oft auf dem hölzernen Küchenboden.
Der Vorteil ist, dass die Küchen wärmer sind als die anderen Räume.
Armut und Verschuldung der Familie waren die Gründe, weshalb Madan mit fünfzehn Jahren beginnen musste, Geld zu verdienen. Es lag nahe, als Träger
für ausländische Trekking-Gruppen zu arbeiten. Mit einem Gleichaltrigen
verließ er sein Dorf und wanderte zum zwei Tage entfernten Flughafen Lukla.
Dort kommen während der Saison die Flugzeuge mit Trekking-Touristen an,
die für ihr Gepäck – die Zelte, die Ausrüstung und Proviant für oft mehrere Wo-
chen – Träger brauchen. Sie verdienen relativ gut, weitaus besser als Tagelöhner
in der Stadt. Ihre Arbeit ist allerdings auch härter. Sie transportieren bis zu
30 Kilogramm in Kiepen über oft steile Bergwege und in Höhen, in denen die
Luft dünn und das Klima unwirtlich kalt ist.
Man stelle sich vor: ein Junge von fünfzehn Jahren, der noch wächst, verlässt
den Schulunterricht, um zusammen mit anderen Männern Lasten von 30
Kilogramm wochenlang die Berge hinauf und hinab zu tragen! Immer wieder
hat mir Madan – mit Tränen in den Augen – davon erzählt, wie hart diese
Arbeit gewesen sei. Er war nicht kräftig genug, nicht gut genug genährt. Auf den Treks kommen die Träger in den Dörfern unter, in den Scheunen, in
einer Küche, kaum geschützt vor der Kälte; ohne hygienische sanitäre Anlagen.
Als Junge von 16 Jahren wäre er beinahe gestorben, als er in etwa 5500
Metern höhenkrank wurde. Der Bergführer schickte ihn allein zurück. In einer
Berghütte angekommen, wurde Madan bewusstlos und blieb unbemerkt
liegen. Erst einen Tag später trug man ihn zu Tal. Sein Vater transportierte
ihn zunächst in die nächstgelegenen Krankenhäuser von Lukla und Phaplu,
und dann flog er seinen Sohn nach Kathmandu, wo er einige Wochen im Krankenhaus
seine Lungenentzündung auskurierte. An den Schulden musste die
Familie jahrelang abbezahlen. Die ihm von der Trekking-Firma zustehende
Versicherungssumme wurde ihm vorenthalten. Madan war nicht über seine
Ansprüche informiert.
Als Träger oder Küchenpersonal von Trekking-Touren zu leben ist das Schicksal
von Tausenden Nepalesen. Sie sind in diese Situation hineingeboren und denken nicht darüber nach, wie auch die Touristen selten an den Verhältnissen
Anstoß nehmen, obwohl sie sie eigenen Landsleuten wohl nicht zumuten
würden. Wie gefährlich die „Sherpas“ leben, hat der Unfall am Hang des
Mount Everest am 18. April 2014 gezeigt, der auch in Deutschland Aufsehen
erregte.
Die meisten Träger verrichten ihren Beruf, bis sie zu schwach für ihn geworden
sind, sie entwickeln sich nicht weiter. Die arbeitslosen Monate verbringen
sie bei ihren Familien in den Dörfern, wo sie der Feldarbeit oder Gelegenheitsarbeiten
nachgehen. Oder sie wohnen bei Verwandten in Kathmandu, wo es
einfacher ist, als Träger eingestellt zu werden.
Der Lebensweg Madans verlief anders. In den arbeitsfreien Monaten kehrte
er zur Schule in Ghunsa zurück. In den Schulferien arbeitete er auch häufig
als Straßenarbeiter und auf Baustellen. Er zeigte mir auf der Fahrt zu seinem
Dorf drei Orte, an denen er zur Verbreiterung der Straße tage- und wochenlang
Anstoß nehmen, obwohl sie sie eigenen Landsleuten wohl nicht zumuten
würden. Wie gefährlich die „Sherpas“ leben, hat der Unfall am Hang des
Mount Everest am 18. April 2014 gezeigt, der auch in Deutschland Aufsehen
erregte.
Die meisten Träger verrichten ihren Beruf, bis sie zu schwach für ihn geworden
sind, sie entwickeln sich nicht weiter. Die arbeitslosen Monate verbringen
sie bei ihren Familien in den Dörfern, wo sie der Feldarbeit oder Gelegenheitsarbeiten
nachgehen. Oder sie wohnen bei Verwandten in Kathmandu, wo es
einfacher ist, als Träger eingestellt zu werden.
Der Lebensweg Madans verlief anders. In den arbeitsfreien Monaten kehrte
er zur Schule in Ghunsa zurück. In den Schulferien arbeitete er auch häufig
als Straßenarbeiter und auf Baustellen. Er zeigte mir auf der Fahrt zu seinem
Dorf drei Orte, an denen er zur Verbreiterung der Straße tage- und wochenlang
mit dem Hammer Steine klein geschlagen hatte. Einige Jahre später
wagte er den Sprung nach Kathmandu, weil es in Ghunsa oder Umgebung
keine weiterführende Schule gab. Er aber wollte unbedingt weiterlernen. Warum?,
fragte ich ihn kürzlich. Die Antwort charakterisiert weniger ihn als seine
Generation: weil bessere Bildung einen besseren Job mit höherem Einkommen
verspricht. Wirtschaftliche Sicherheit ist wichtig – nicht Freude an Wissen
und Horizonterweiterung, an Kenntnissen und Fertigkeiten! Diese Freude
wird der Student erst dann empfinden, wenn er nach einigen Jahren zurückblickt
und vergleichen kann, wer er war und was er, außer Fachwissen, noch
durch sein Studium gelernt hat.
In Kathmandu wohnte Madan zunächst bei Verwandten aus dem Magar-
Stamm, die sich in verschiedenen neu erschlossenen Wohngegenden in
den noch preiswerten Außenbezirken konzentrieren. Mit erstaunlicher Willenskraft
und enormem Ehrgeiz kämpfte Madan sich bis zum Abschluss der zwölften Klasse durch, das heißt, bis zur Zulassung zum Universitätsstudium.
Finanzielle Probleme zwangen ihn immer wieder, den Schulunterricht abzubrechen,
um auf Trek zu gehen. Dadurch verlor er zwei Schuljahre. Er schaffte
es jedoch, genügend Englisch zu lernen, um vom Träger zum Sherpa (eine
Art Hilfsbergführer) und schließlich zum „Guide“ (Bergführer) zu avancieren.
Das ist eine verantwortungsvolle Position, die er die letzten zwei Jahre, also
schon als sehr junger Mann, ausgeübt hat. Sherpas und Guides tragen nur
ihre eigene Reiseausrüstung im Rucksack mit, haben also körperlich weniger
zu leisten.
Mit 22 Jahren begann Madan Ende 2013 ein Studium der Volkswirtschaft in
Kathmandu und hat – ohne eine Spur von Bedauern – seine Karriere im Berg-
tourismus beendet. Die grandiosen Berge, unter denen er aufgewachsen ist,
scheinen ihn nicht anzuziehen.
Junge Menschen wie Madan bewegen sich in unterschiedlichen Welten. Er ist
Finanzielle Probleme zwangen ihn immer wieder, den Schulunterricht abzubrechen,
um auf Trek zu gehen. Dadurch verlor er zwei Schuljahre. Er schaffte
es jedoch, genügend Englisch zu lernen, um vom Träger zum Sherpa (eine
Art Hilfsbergführer) und schließlich zum „Guide“ (Bergführer) zu avancieren.
Das ist eine verantwortungsvolle Position, die er die letzten zwei Jahre, also
schon als sehr junger Mann, ausgeübt hat. Sherpas und Guides tragen nur
ihre eigene Reiseausrüstung im Rucksack mit, haben also körperlich weniger
zu leisten.
Mit 22 Jahren begann Madan Ende 2013 ein Studium der Volkswirtschaft in
Kathmandu und hat – ohne eine Spur von Bedauern – seine Karriere im Berg-
tourismus beendet. Die grandiosen Berge, unter denen er aufgewachsen ist,
scheinen ihn nicht anzuziehen.
Junge Menschen wie Madan bewegen sich in unterschiedlichen Welten. Er ist
nach wie vor seinem Heimatdorf Merangdi verbunden, auch wenn er seit fünf
Jahren nicht mehr dort wohnt. Das Familienbewusstsein, das Asiaten aneinander
fesselt, ist auch in Nepal stark – unter den Stämmen wie den Magars
womöglich noch ausgeprägter. Die Mehrzahl der Familien im Dorf ist weitläufig
mit Madan verwandt. Die südliche Region von Solukhumbu, in der Merangdi
liegt, ist inzwischen mühelos über Mobiltelefon zu erreichen, was den
Familienzusammenhalt auch über weite Entfernungen stärkt.
In Kathmandu wohnt Madan zur Miete ebenso unter Seinesgleichen. Alle
Nachbarn, die wir dort trafen, leben vom Bergtourismus. Er konnte mir keinen
Menschen außerhalb seines Stammes nennen, mit dem er regelmäßigen
Kontakt pflegt. Er hat vor zwei Jahren eine Kusine, die in einem anderen Distrikt
Nepals wohnte, geheiratet, auf Druck übrigens von einem Senior aus Merangdi,
jetzt sein Nachbar in Kathmandu, der eine geachtete Stellung in der
Sippe einnimmt. Erst allmählich beginnt sich Madan als Student von dieser
Jahren nicht mehr dort wohnt. Das Familienbewusstsein, das Asiaten aneinander
fesselt, ist auch in Nepal stark – unter den Stämmen wie den Magars
womöglich noch ausgeprägter. Die Mehrzahl der Familien im Dorf ist weitläufig
mit Madan verwandt. Die südliche Region von Solukhumbu, in der Merangdi
liegt, ist inzwischen mühelos über Mobiltelefon zu erreichen, was den
Familienzusammenhalt auch über weite Entfernungen stärkt.
In Kathmandu wohnt Madan zur Miete ebenso unter Seinesgleichen. Alle
Nachbarn, die wir dort trafen, leben vom Bergtourismus. Er konnte mir keinen
Menschen außerhalb seines Stammes nennen, mit dem er regelmäßigen
Kontakt pflegt. Er hat vor zwei Jahren eine Kusine, die in einem anderen Distrikt
Nepals wohnte, geheiratet, auf Druck übrigens von einem Senior aus Merangdi,
jetzt sein Nachbar in Kathmandu, der eine geachtete Stellung in der
Sippe einnimmt. Erst allmählich beginnt sich Madan als Student von dieser
Isolation zu befreien, indem er Studienkollegen als Freunde gewinnt.
Madan ist in der archaischen Bergwelt zu Hause, ebenso aber in der Großstadt
Kathmandu, und drittens trat er jahrelang während der Trekking-Touren in
den Umkreis von meist westlichen Ausländern ein, von denen er bewusst und
unbewusst Eigenschaften und Verhaltensweisen angenommen hat.
In der modernen Stadt Kathmandu ist er noch nicht angekommen. Erstaunlich
ist zum Beispiel, dass er nie ein Kino besucht hat, nie eine Disko oder Bar. Madan
trinkt keinen Alkohol und raucht nicht. An den Vergnügungen eines modernen
städtischen Teenagers hat er nie teilgenommen. Der Grund ist nicht
nur in seiner bisherigen Isolation zu finden, sondern auch in seinen begrenzten
finanziellen Möglichkeiten. Obwohl jung und weltlich unerfahren, kennt er
jedoch soziale Not, Krankheit und instabile Lebensverhältnisse aus eigener
Erfahrung. Hinzu kommen Pflichten als Sohn und als Vater, die schwer auf
ihm wiegen.
Madan ist in der archaischen Bergwelt zu Hause, ebenso aber in der Großstadt
Kathmandu, und drittens trat er jahrelang während der Trekking-Touren in
den Umkreis von meist westlichen Ausländern ein, von denen er bewusst und
unbewusst Eigenschaften und Verhaltensweisen angenommen hat.
In der modernen Stadt Kathmandu ist er noch nicht angekommen. Erstaunlich
ist zum Beispiel, dass er nie ein Kino besucht hat, nie eine Disko oder Bar. Madan
trinkt keinen Alkohol und raucht nicht. An den Vergnügungen eines modernen
städtischen Teenagers hat er nie teilgenommen. Der Grund ist nicht
nur in seiner bisherigen Isolation zu finden, sondern auch in seinen begrenzten
finanziellen Möglichkeiten. Obwohl jung und weltlich unerfahren, kennt er
jedoch soziale Not, Krankheit und instabile Lebensverhältnisse aus eigener
Erfahrung. Hinzu kommen Pflichten als Sohn und als Vater, die schwer auf
ihm wiegen.
In Madans Leben spiegeln sich einerseits der Übertritt von einer agrarischdörflichen
zu einer städtischen Lebensform, anderseits aber auch das Festhalten
an Familien- und Stammesdenken, das sowohl schützend als auch begrenzend
wirkt.
Das soziale Klima in Merangdi empfindet Madan als ambivalent. Es ist einerseits
idyllisch, insofern als menschliche Wärme, Familienzusammenhalt, eine
enge Beziehung zu Feld, Wald und Tieren vorherrschen. Man merkt die Zufriedenheit,
wenn der junge Mann, der die beste Bildung seiner Familie und
seines Dorfes besitzt und weiter studieren wird, mit den Familienmitgliedern
am Küchenfeuer sitzt und eines jener trägen, mundfaulen Gespräche führt,
die im dörflichen Zusammenhang so typisch sind. Andere – lebhaftere, thematisch
bezogene – Gespräche und direktere Formen der Begegnung ist er in
Kathmandu gewohnt.
Anderseits klagt Madan, das soziale Klima im Dorf sei vergiftet, denn in der kleinen Gemeinschaft, in der jeder alles vom anderen weiß, regieren Neugier,
üble Nachrede, Eifersucht sowie geistige und moralische Enge. Es fehlt an der
Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln. Madan als typischer „Outsider-
Insider“ fühlt sich von diesem Milieu abgestoßen und meidet es, doch gleichzeitig
wird er die tiefe ursprüngliche Verbindung mit den Menschen seiner Familie
und seines Stammes nicht aufgeben. Aufgrund seiner Bildung wird ihm
die Aufgabe zuteil, die Konflikte des Generationenwechsels in der Großfamilie
zu lösen. Schon drängt ihn der etwa sechzigjährige Vater, er würde gern zu
ihm nach Kathmandu ziehen, weil ihm die Feldarbeit zu anstrengend wird.
Was würde aus Haus und Feld in Merangdi? Madan zeigte mir mehrere Häuser
in seinem und in umliegenden Dörfern, die leerstehen und verfallen, weil
die Besitzer in die Städte gezogen sind.
Dieser Zwiespalt zwischen Dorf und Stadt, Bauern- und modernem Stadtdasein
wird Madans Zukunft prägen. Je mehr Welterfahrung er außerhalb seines
üble Nachrede, Eifersucht sowie geistige und moralische Enge. Es fehlt an der
Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln. Madan als typischer „Outsider-
Insider“ fühlt sich von diesem Milieu abgestoßen und meidet es, doch gleichzeitig
wird er die tiefe ursprüngliche Verbindung mit den Menschen seiner Familie
und seines Stammes nicht aufgeben. Aufgrund seiner Bildung wird ihm
die Aufgabe zuteil, die Konflikte des Generationenwechsels in der Großfamilie
zu lösen. Schon drängt ihn der etwa sechzigjährige Vater, er würde gern zu
ihm nach Kathmandu ziehen, weil ihm die Feldarbeit zu anstrengend wird.
Was würde aus Haus und Feld in Merangdi? Madan zeigte mir mehrere Häuser
in seinem und in umliegenden Dörfern, die leerstehen und verfallen, weil
die Besitzer in die Städte gezogen sind.
Dieser Zwiespalt zwischen Dorf und Stadt, Bauern- und modernem Stadtdasein
wird Madans Zukunft prägen. Je mehr Welterfahrung er außerhalb seines
Dorfes und seines Stammes macht, desto stärker wird der Konflikt sein.
Bildung und Erfahrung können ihn jedoch lehren, diesen Zwiespalt als unvermeidlich
anzunehmen und diesen als Anreiz für eine eigene Lebensgestaltung
fruchtbar zu machen.