Neue Zürcher Zeitung 28.3.2017
Narendra Modi und Donald Trump
Virtuosen des Ressentiments
GASTKOMMENTAR von Martin Kämpchen 28.3.2017, 05:30 Uhr
Indiens nationalistisch und fundamentalistisch gesinnter Premierminister Narendra Modi wird in seinem Land mit einem gewissen Stolz als Vorläufer Donald Trumps angesehen. Doch es gibt markante Unterschiede.
Gern emotional: Narendra Modi auf Wahlkampftour in Uttar Pradesh, 2017. (Bild: ap)
Nach und nach wird die Behauptung, dass eine Welle von populistischen, rechtsgerichteten, faschistoiden Regierungen Europa überschwemme, zu einer akzeptierten Tatsache. Man schaut mit Sorge auf die Wahlen in Frankreich und Deutschland. Und dann erscheint noch Trump, dessen eigenwillig-unberechenbare Spielart rechtspopulistischer Politik – ob man will oder nicht – auf die Politik, aber eindringender noch auf die Denkweise Europas einwirkt. Wir befinden uns in Westeuropa in einem defensiv-abwartenden Modus. Manchmal fällt einem der Vergleich des Kaninchens ein, das gebannt auf die Schlange starrt, die bereits das Maul aufsperrt, um ihr Opfer zu verschlingen.
Ein Vorläufer?
Dass Donald Trump und seine Denkweise noch weitere Kreise ziehen könnten, bis hin nach Asien, ist uns weniger bewusst. Tatsächlich wird der Premierminister Indiens, Narendra Modi, von zahlreichen Medien im Lande selbst mit einem gewissen Stolz als Vorläufer Trumps angesehen. Doch ist das berechtigt?
Modi ist seit Mai 2014 der Premierminister Indiens. Der Sieg seiner Bharatiya-Janata-Partei (BJP) bei gesamtindischen Wahlen war vorausgegangen. Zuvor hatte Modi von 2001 bis 2014 als Chefminister von Gujarat regiert und politische wie wirtschaftliche Erfolge erzielt. Er hatte den Bundesstaat zu einem der am meisten industrialisierten und einem der wirtschaftlich erfolgreichsten Bundesstaaten Indiens entwickelt.
Die antimuslimische, Hindu-fundamentalistische Haltung ist traditionell die Agenda der BJP. Darum konnte es 2002 während Modis Regierungszeit auch zu den Massakern von Muslimen in den Städten von Gujarat kommen. Bis heute wird Narendra Modi eine passive Mittäterschaft vorgeworfen, die ihm aber bisher juristisch nicht nachgewiesen werden konnte.
Aus bescheidenen Verhältnissen
Modi ist als Person ganz anders als Trump. Modi weist gern darauf hin, dass er aus bescheidenen Verhältnissen stammt und einmal als Teeverkäufer seinen Lebensunterhalt verdiente. Modi ist unverheiratet – wie übrigens zahlreiche indische Spitzenpolitiker –, was dem Volk als Symbol von Askese und ernsthaftem Engagement gilt. Ideologisch wuchs er im Dunstkreis des Hindu-Fundamentalismus auf, dessen Ziel es ist, eine uniform auf den Werten, den sozioreligiösen Vorstellungen und Mythen des traditionellen Hinduismus aufbauende Gesellschaft zu schaffen.
Trump und Modi sind aus nahezu gegensätzlichen historisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen aufgestiegen.
Diesem Ziel liegt ein antimodernes und antiwestliches Welt- und Menschenbild zugrunde, und es ignoriert die Tatsache einer zutiefst pluralistischen Gesellschaft. Hindu-Fundamentalisten reiben sich politisch und sozial an der muslimischen Minderheit und entfachen daraus viel Feuer für ihre Ideologie. Ihre Antipathie gegenüber Christen ist bekannt wie auch ihr Ressentiment gegenüber den britischen Kolonisatoren, die dem Volk psychische Wunden geschlagen haben.
Donald Trump hat dagegen keinen Grund, sich als Verlierer der Geschichte und Fackelträger einer untergehenden glorreichen Vergangenheit zu verstehen. Trumps historisches Selbstverständnis ist jüngsten Datums, wenn es überhaupt besteht. An der Geschichte hat er nicht mitgewirkt, nicht einmal symbolisch. Sein Vorgänger Obama wurde dagegen zum Symbol der Überwindung des Rassismus, Symbol einer idealistisch-freiheitlichen Gesellschaft, weshalb ihm, gewissermassen stellvertretend für die Gesellschaft, die ihn gewählt hatte, der Friedensnobelpreis verliehen wurde.
Gemeinsame Abneigung gegen Muslime
Es ist bizarr, dass ein Mann aufsteigen konnte, der ohne jeglichen historischen Nimbus und ohne ikonografische Ausstrahlung, ohne die Aura eines Aufbauers einer Bewegung auskommt und nichts symbolisiert als sich selbst: seine Gier, seinen protzigen Kapitalismus, seine trickreiche Geschäftemacherei, sein legal dubioses Ausnutzen von Menschen und Paragrafen. Es verkörpert allenfalls den «amerikanischen Traum» – reduziert auf das Skelett seines kapitalistischen Profitstrebens.
Trump und Modi sind aus nahezu gegensätzlichen historisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen aufgestiegen. Trotzdem erkannte Narendra Modi, als sich abzeichnete, dass Trump die Präsidentschaft gewinnen könnte, in dem amerikanischen Präsidentschaftskandidaten einen Waffenbruder. Er habe ein gutes Verhältnis zu Trump, behauptete er nach dessen Wahlsieg, ohne in Einzelheiten zu gehen. Auch das politische Establishment Indiens kalkulierte allgemein, dass «Trump besser für Indien» sei als Hillary Clinton. Über Trumps Entgleisungen, seine Lügen und sein Rassismus, der doch auch Inder treffen müsste, sah man hinweg, wie anderenorts auch.
Inhaltlich verbindet die beiden Politiker vor allem ihre Abneigung gegenüber Muslimen, die beide zu verbrämen suchen, die aber oft impulsiv hervorbricht. Für beide sind Muslime ein Symbol für das bedrohlich Andere, das sie jedoch mit unterschiedlichen Inhalten füllen. Für Modi und sein Wahlvolk sind Muslime die Eroberer früherer Zeitalter, die Zerstörer der Hindu-Einheit und Hindu-Reinheit, jene Minderheit, die infolge ihrer höheren Geburtenrate einst eine Bevölkerungsmehrheit darstellen könnte (was eine absurde Angst ist). In der Hindu-Vorstellung sind Muslime aggressiv und gewalttätig, weil sie Rindfleisch essen und eine enge, disziplinierte Gemeinschaft darstellen.
Fremde per se
Ob Trump jemals prägende persönliche Erfahrungen mit Muslimen in seinem Land gemacht hat, ist nicht bekannt. Muslime gelten als die Fremden per se, wobei Trump vergisst, dass die USA ein Einwandererland par excellence sind und zum Beispiel auch Trumps Grosseltern aus Deutschland eingewandert sind. Aber Muslime sind, eher als andere Einwanderer, durch Religionsmerkmale, gesellschaftliche Haltungen und starke Traditionen so auffällig, dass Integration oft schwer wird.
Beider ideologisches Fundament ist populistisch, das heisst historisch und kulturell vage, oft uninformiert und emotional.
Diese instinktive Abwehr zeigt sich in einer Identitätssicherung durch nationalistische Proklamationen. Trump wie Modi sind bekennende Nationalisten. Traditionell verfügen die USA wie Indien über ein machtvolles Reservoir an nationalistischen Gefühlen. Sie sollen die beiden Länder, die vor kulturellem Pluralismus und gesellschaftlicher Diversität bersten, zusammenhalten. Doch der American Way of Life nivelliert sich ebenso wie der Hindu-Nationalismus, anstatt Pluralismus zu erhalten. Der amerikanische Nationalismus baut naiv auf der wirtschaftlichen Macht des Landes auf, während der indische sich eher trotzig aus dem Bewusstsein definiert, ein armes, sich entwickelndes, aber kulturell reiches Land zu sein, das schon fast den Status einer Supermacht erreicht hat.
Die Abwehr gegenüber Muslimen und der Nationalismus bewegen sich in beiden Ländern auf antiintellektueller Ebene. Modi wie Trump werden nicht von der intellektuellen Elite der Universitäten und der Medien unterstützt. Ihr ideologisches Fundament ist populistisch, das heisst historisch und kulturell vage, oft uninformiert und emotional.
Folgen der Globalisierung
Pankaj Mishra, einer der schärfsten indischen Kritiker von Modi, aber auch Europas und Amerikas, setzte eine Facette hinzu. Er schrieb nach Trumps Wahlsieg ein Editorial in der «New York Times», das den Aufstieg beider Politiker der Globalisierung anlastet. Seit den neunziger Jahren öffnet sich Indiens Wirtschaft dem Weltmarkt – initiiert übrigens von Premierminister Narasimha Rao, der zu Beginn des Jahrzehnts das Erstarken der BJP nicht verhindern konnte. Das habe, so Mishra, zu einer «rauschenden kapitalistischen Erfolgsgeschichte» bei der Mittel- und Oberschicht geführt, die die Armut der Unterschicht verleugnet oder bagatellisiert. Doch gerade in den unteren Schichten herrschen Unruhe und Ressentiments gegenüber der politischen Klasse und den Eliten. Mishra schreibt: «Modi begriff, so schlau wie jetzt Trump, die schreckliche politische Potenz der Ressentiments. Modi positionierte sich in der Lücke zwischen den selbstgerechten Gewinnlern der Globalisierung und den zornigen Massen.»
Dass beide autoritäre Politiker zu einer Kontinente übergreifenden Bewegung hin zum rechten diktatorischen Führungsstil gehören sollen, wie Mishra suggeriert, ist jedoch schwer nachzuvollziehen. Wir sehen, wie verschieden die historischen Wurzeln und die Entwicklungsphasen sind, in denen sich die beiden Gesellschaften befinden.
Martin Kämpchen, Jahrgang 1948, lebt seit 1973 als Autor, Übersetzer und Journalist in Indien. Vor kurzem ist erschienen: «Lebens-Reisen. 9 Versuche, der Ferne näher zu kommen» (Vier-Türme-Verlag).